Andrea,
geb. 12.11.1979, kam drei Wochen vor dem errechneten Termin zur Welt. In
der Schwangerschaft hatte ich im 3. und 5. Schwangerschaftsmonat Blutungen und
musste im 5. Monat einige Wochen liegen.
Als
Andrea zwei Monate alt war, hatte sie ihren ersten epileptischen
Anfall. Die Lachner-Klinik in München verwies uns an die Haunersche
Kinderklinik in München und verordnete Luminal, woraufhin Andrea die meiste
Zeit schlief. Sie hatte nach wie vor Anfälle, ihre Entwicklung
verlief sehr verlangsamt. Mit 9 Monaten konnte sie unsicher sitzen, sie war über
zwei Jahre alt, als sie zu laufen begann. Etwas sprechen konnte sie
erst mit 7 Jahren. Ihr kleines Geschäft hatte sie mit 6 Jahren
unter Kontrolle, ihr großes Geschäft erst mit 13 Jahren.
Ihre
Anfälle veränderten sich im Laufe der Jahre immer wieder. Sie hatte Querbeet
alles: Grandmal, Petitmal, BNS, Absencen,Anfallserien mit anschließendem
Erbrechen usw. usf. Sie probierte fast alle Medikamente durch, die so auf dem
Markt sind, meistens in Kombination. Nach kurzer Besserung gewöhnte sie sich daran und die Anfälle verschlechterten sich wieder. Im Alter von 2
Jahren wurde eine Hormontherapie (ACTH-Kur) in der Haunerschen Kinderklinik durchgeführt,
woraufhin sie drei Monate anfallfrei war. In dieser Zeit lernte sie das Laufen.
Mit drei Jahren erfolgte die nächste Hormontherapie, die nach drei Wochen wegen
angeblicher Ergebnislosigkeit abgebrochen wurde. Sie hatte noch zwei
BNS-Krämpfe pro Tag. Nach Abbruch der Therapie wurden daraus ca. 80 pro Tag!
Weitere Tabletten, dann Ketogene Diät (auf Fettbasis). Diese Diät war damals
ein Novum und die Diät-Ärztin erstellte mit mir zusammen für
eine Woche Mahlzeiten für Andrea, bei denen ich mir sicher war, dass sie
sie essen würde, wie z. B. Wiener Würstl (jeden Tag das gleiche Essen!). Für
die Mahlzeiten der zweiten Woche holte die Ärztin nicht mehr meinen Rat
ein und stellte Essen zusammen, das Andrea nicht mochte. Nach einem Tag
verweigerte sie die Nahrungsaufnahme.Die Ketogene Diät wurde erfolglos
abgebrochen.
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Andreas erster Schultag in der Friedel- Eder- Schule
Andrea ging mit 4 Jahren in den Kindergarten der Friedel-Eder-Schule in
München. Als sie ungefähr fünf Jahre alt war, erhielt ich den Hinweis auf einen
homöopathischen Arzt in der Waldhausklinik in Stadtbergen/Deuringen bei
Augsburg, den wir dann auch konsultierten. Er meinte, man müsste zuerst den
Allgemeinzustand von Andrea behandeln, damit sie nicht mehr so unruhig wäre.
Nach ca. einem Jahr fragte ich mal zaghaft an, was mit der Epilepsie wäre,
worauf er meinte, da könne er nichts machen. Uns wurde gesagt, dass es sein könnte, dass die Anfälle weggingen, wenn
Andrea in die Schule oder in die Pubertät kommt. Das Gegenteil war der
Fall.
Da Andrea im Alter von 11 Jahren ca. 15 Zuckungen pro Tag hatte, wurde sie
auf Anraten und Drängen einer Lehrerin ihrer Schule (Friedel-Eder-Schule) vier
Monate lang in der Epilepsieklinik Kork bei Kehl am Rhein behandelt. Nach dieser
Zeit wurde sie mit nur zwei kurzen Zuckungen pro Tag entlassen. Dieser Erfolg
hielt nicht lange an, weil Andrea in die Pubertät kam. Allerdings setzte man in
Kork ganz langsam das Luminal ab, was dazu führte, dass mein vorher aggressives
Kind zu einem ganz netten und lieben Mädchen wurde, das witzig und lustig sein
konnte.
Aber epilepsiemäßig hatten wir höllische Jahre vor uns!! Täglich mehrere
schwere und sehr schwere Anfälle , wobei Andrea sich immer wieder verletzte und
genäht werden musste. Nach einigen Wochen erhielt sie einen Sturzhelm aus Leder,
der zwar etwas half, aber auch dieser wurde manchmal durchschlagen. Ab dieser
Zeit musste ich meiner Tochter leider ihre Selbständigkeit beschneiden, weil ich
sie kaum mehr aus den Augen ließ aus Angst davor, sie könnte sich wieder
verletzen und wir würden wieder einige Stunden des Wochenendes im Krankenhaus
verbringen müssen. Trotzdem konnte ich Verletzungen nicht verhindern.
Ab und zu war Andrea zur ambulanten Behandlung in der Neurologischen Klinik
im Klinikum Großhadern und stationär im Behandlungszentrum Vogtareuth
eingewiesen, wobei auch ich mit aufgenommen wurde. Dort probierte man
Medikamente aus, deren anfängliche Einnahme der Beobachtung bedurften, damit dem
Patienten nichts passiert. Manchmal hatten sie Anfangserfolg, manchmal überhaupt
keinen. Man stufte deshalb Andrea als therapieresistent ein, d. h. Tabletten
wirken nicht. Von allen Epileptikern sind das ca. 20 Prozent, die anderen 80
Prozent können ihre Epilepsie mit Tabletten in den Griff bekommen. Während der ganzen Jahre erhielt Andrea Krankengymnastik nach Bobath und eine Therapie für die Feinmotorik. 1998 wurde mir ein Arzt in Bad Wiessee empfohlen, der etwas für Andreas
allgemeinen Zustand tun könnte. Der Arzt führte mit ihr einmal wöchentlich eine
synergetische Reflextherapie durch, durch die Andrea wacher, aufmerksamer und
ruhiger werden sollte. Diese Thearapie, die von den Krankenkassen natürlich
nicht anerkannt wird, half schon etwas, aber nicht so wahnsinnig viel, so dass
wir sie nur zehn Wochen lang durchführten. Zusätzlich suchten wir noch eine
Heilpraktikerin, die mir empfohlen worden war, auf, die versuchte, mit Kügelchen
und gemischten Trinkampullen Andreas Blutwerte, wie z.B. Leberwerte, aufzupeppen
und mit täglichen Spritzen die Anfälle loszuwerden. Die Anfälle verbesserten
sich natürlich nicht. Mit 20 Jahren hatte Andrea ihre Schulzeit und anschließende Werkstufenzeit
in der Friedel-Eder-Schule beendet und kam zum Wohnen und Arbeiten in die
Förderstätte ins Franziskuswerk Schönbrunn und nur noch zum Wochenend-Besuch zu
mir.
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Irgendwann erzählte mir eine Kollegin, sie hätte einen Bericht in der
Fernseh-Sendung "Galileo" gesehen: Man könne Epileptikern das Gehirn trennen, so
dass sie anfallsfrei wären. Ich ließ mir daraufhin das Videoband vom
Fernsehsender schicken und machte mich kundig. Callosotomie nennt man diese
OP. Im Behandlungszentrum Vogtareuth führt man diese Operation durch, aber auch
Operationen, bei denen nur der Epilepsieherd aus dem Gehirn geschnitten wird.
Andrea wurde dort per Monitoring und Kernspintomographie total durchgecheckt mit
folgendem Ergebnis: Im 5. Schwangerschaftsmonat musste irgendetwas passiert sein
(ich hatte ja - wie gesagt - Blutungen), da sich ab diesem Monat das Hirn von
Andrea nicht mehr normal entwickelt hat. Von einer Callosotomie riet man mir
total ab, da Andrea behindert ist. Mit der Hirntrennung haben schon sogenannte
"normale" Menschen Schwierigkeiten, weil nach der OP eine Hand was ganz anderes
machen kann als die andere und was sie eigentlich machen soll usw. Auch wäre es
möglich, dass sich die Anfälle einen anderen Weg suchen würden und sie so nach
zwei Jahren wieder da wären. Eine Epilepsie-Herd-OP käme nicht in Frage, weil
Andrea mehrere Herde hat und man deshalb zuviel gesundes Hirn mitherausschneiden
müsste. Außerdem seien diese Herde schwer zu bestimmen, also man könnte nicht
genau sehen, wo sie im Hirn genau sitzen.
Was in Frage käme, wäre eine Vagus-Nerv-Stimulation. Dabei wird neben der
linken Achselhöhle eine Art Schrittmacher eingesetzt, im Hals wird eine
Elektrode eingesetzt, die mit diesem Schrittmacher verbunden ist. Um den
Vagus-Nerv, der ins Hirn geht, wird ein Draht gelegt, der mit der Elektrode
verbunden ist. Der Schrittmacher wird so programmiert, dass er sich alle 5
Minuten eine halbe Minute einschaltet, so dass das Hirn stimuliert wird und "was
zu tun hat". Dadurch könnte es sein, dass die Anfälle weniger oder leichter
werden oder im ganz guten Fall weggehen könnten. Ich muß sagen, die Ärzte in
Vogtareuth waren wirklich super, nahmen sich total Zeit für mich, erklärten mir
alles genau und gaben mir Informationsmaterial mit, damit ich mir das alles noch
gründlich überlegen könnte. Die Operation allerdings konnten sie nicht
durchführen, weil Andrea inzwischen schon 23 Jahre alt war und die
Neurochirurgische Klinik in Vogtareuth nur Kinder operiert.
Die OP ließen wir in Großhadern von Dr. Winkler machen. Seither sind wir
dort vierteljährlich in der neurologischen Ambulanz zum Einstellen des
Stimulators. Die Anfälle sind etwas weniger und etwas leichter geworden. Ich
würde sagen, ca. ein Anfall pro Tag weniger, also nur noch ca. zwei Anfälle pro
Tag.
Allerdings kommt immer wieder im Winter eine Zeit, in der sich die Anfälle
verschlechtern bzw. verändern, so dass Andrea sich verletzt bzw. voll aufs
Gesicht fällt, sich die Nase bricht, Platzwunden an Lippen, Stirn, Kinn und Kopf
davonträgt, mit blauen Augen, geschwollenen Lippen oder dicker blauer Nase
rumlaufen muss. Da probiert man dann wieder Medikamente aus und Erhöhung des
Stimulators.
Andrea fehlen (durch die Anfälle) alle oberen Schneidezähne, das Gesicht
ist von Akne-Narben und Pickeln (vom Lamictal) übersäht. Am Körper hat sie immer
blaue Flecken. Sie kann nicht richtig sprechen, nicht schreiben, nicht rechnen.
Aber: Sie kann den Tisch decken und abräumen und ihre Schuhe an- und ausziehen. Sie
geht selbständig auf die Toilette und kann selber essen, wenn alles vorgeschnitten
ist. Sie kann sehr laut singen!!! Und sie ist sehr laut lustig! Und sie kann rennen und
hüpfen.
Andrea feiert Geburtstag
Andrea noch mit einem Großteil ihrer Zähne
Buchempfehlung
Mir wurde von der "Deutschen Gesellschaft für Epileptologie" folgendes Buch
empfohlen:
"Epilepsie:Antworten auf die häufigsten Fragen - Hilfreiche Informationen
für Betroffene und Angehörige" von Dr.med. Günter Krämer, erschienen im
TRIAS-Verlag, Stuttgart